Ariane 6 – die europäische Antwort auf die Falcon 9 von SpaceX?

Vorwort: In den letzten Monaten hatte ich die Ehre verschiedene Raumfahrtstandorte wichtig für die Produktion für Ariane-5- und Ariane-6 Trägerraketen besuchen zu dürfen. Dabei habe ich in zahlreichen Gesprächen mit verschiedenen Experten Einsicht in Produktionsabläufe und auch strategische Planung der europäischen Launcherindustrie gewinnen können. Basierend auf diesen Erkenntnissen konnte ich wie ich denke eine wohlinformierte Meinung zur Problematik der Launcher entwickeln. Im folgenden habe ich diese einmal aufgeschrieben und hoffe damit auch eine Diskussion anregen zu können.  

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Falcon Heavy auf dem Launchpad 39A im Kennedy Space Center. Gespannt fiebern wir dem ersten Start entgegen.

Kaum etwas ist im Moment in der Raumfahrtszene so populär wie die Starts der Falcon-9-Rakete von SpaceX – hauptsächlich auch wegen der spektakulären Landungen der Erststufe. Und der Hype wächst im Moment umso mehr da in diesen Tagen die Falcon-Heavy-Rakete zum ersten Mal starten soll – nach jahrelangen Verzögerungen (Dezember 2012 war der ursprünglich erstmals genannte Zeitpunkt für das Erscheinen auf dem Launchpad). Eine Vision scheint wahr zu werden: kostengünstiger Zugang zum Weltraum. Der Start einer kommerziellen Falcon-9-Rakete kostet ab 62 Millionen US-Dollar, beim Verwenden einer wiederwendeten Erststufe gibt es wohl einen Rabatt von 10 Prozent. Genaue Zahlen sind nicht bekannt. Ein Start einer europäischen Ariane-5 kostet hingegen geschätzte 150-200 Millionen US-Dollar. Da mag es nicht verwundern, daß der CEO von SpaceX einst sage “Europas Rakete hat keine Chance”. Die Ariane 5 startet aber immer noch wie schon seit diversen Jahren 5-7 Mal pro Jahr ins All, meistens mit kommerziellen Nachrichtensatelliten an Bord. Und dies wird sich auch in den kommenden Jahren nicht ändern, die Ariane 5 ist bis zum Ende ihres Einsatzes 2022/2023 fast vollständig ausgebucht. Dies hat mehrere Gründe:

  • Die Ariane 5 kann zwei Kommunikationssatelliten gleichzeitig transportieren – dank der größeren Nutzlastkapazität im Vergleich zur Falcon 9, welche nur einen derartigen Satelliten transportieren kann,  und der Dopplelstartstruktur SYLDA. Daher ist der Start eines solchen Satelliten im Doppelstartverfahren mit Ariane 5 nur etwas teurer als mit der Falcon 9.
  • Die Ariane 5 ist ein äußerst zuverlässiges Startsystem. 82 Starts in Folge verliefen ohne Probleme. Trotz des letzten Teilerfolgs (Flug VA241 hat nicht die gewünsche Bahnebene erreicht) ist die Ariane 5 das zuverlässigste Startsystem für kommerzielle Satelliten. Das drückt sich auch in Startversicherungsprämien für die kommerziellen Nutzlasten aus. Diese sind bekanntlich für Starts mit Ariane 5 deutlich niedriger als für  Starts mit Falcon 9. Dadurch werden Unterschiede beim Startpreis teilweise wieder ausgeglichen.
  • Startverschiebungen bei Ariane 5 sind äußerst selten. Die überwiegende Anzahl von Startverschiebungen ist durch Verzögerungen bei der Bereitstellung der Nutzlasten zum Start zurückzuführen.  So wurde bezeichnernderweise der kürzlich gestartete SES-14-Satellit von einem geplanten Start mit einer Falcon 9 auf  die Ariane 5 umgebucht, da es umfangreiche Startverzögerungen bei SpaceX-Falcon-9-Starts gab.
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Startposter für Ariane-5-Start VA241 am 25. 01. 2018. Den Start konnte ich aus dem Flugzeug im Anflug auf den Cayenne-Flughafen verfolgen.

Startverzögerungen bei der Falcon 9 haben mehrere Ursachen. Die Hauptursache liegt meiner Meinung nach darin, daß die Falcon 9 im Moment eher eine experimentelle Rakete ist. Das drückt sich allein schon darin aus, daß jetzt die 5. Version der Falcon 9 (auch Block 5 genannt) entwickelt wird. Von Version zu Version wurden teilweise drastische Veränderungen eingeführt. Das verstärkte Herunterkühlen der Treibstoffe mit dem Ziel mehr Treibstoff laden zu können ist dabei wohl die experimentellste Veränderung, welche leider auch zur Explosion der Falcon 9 mit der AMOS-6-Nutzlast im September 2016 führte.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt soll die Falcon 9 Version 5 die finale Version dieser Trägerrakete sein. Ziel ist es, die Erststufe 10 Mal oder häufiger verwenden zu können – und das ohne umfangreiche Überholungen zwischen den Starts. Der Start der ersten Version-5-Rakete soll in diesem Jahr erfolgen. Es bleibt abzuwarten, ob die Falcon 9 Version 5 diese äußerst ambitionierten Zielstellungen erreichen kann. Auch die NASA scheint da skeptisch zu sein, denn sie fordert nicht weniger als 7 erfolgreiche Starts dieser Falcon-9-Version bevor Astronauten damit zur ISS starten dürfen.

Das Fazit der Überlegungen bisher ist also: Die Ariane 5 kann also bisher durchaus mit der Falcon 9 im kommerziellen Wettbewerb um Startaufträge mithalten.

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Leistungen und Preise für Starts mit Falcon 9 und Falcon Heavy am 4. Februar 2018. Screenshot von http://www.spacex.com/about/capabilities

Wie sieht das Ganze jetzt in Bezug auf die Falcon-Heavy-Rakete aus? Der Startpreis einer Falcon Heavy wird von SpaceX mit 90 Millionen Dollar angegeben, allerdings nur für den Fall daß beide Boosterstufen und auch die zentrale Stufe wiederverwendet werden. In diesem Fall kann die Rakete 8 Tonnen Nutzlast in den bei den kommerziellen Kunden bevorzugten geostationären Transferorbit (GTO) bringen. Ariane 5 kann dorthin allerdings 10.5 Tonnen Nutzlast transportieren – zu einem höheren Preis ab 150 Millionen Dollar. Allerdings kann die Ariane 5 wiederum 2 Satelliten transportieren, welche sich den Startpreis teilen können. Die Falcon Heavy könnte natürlich grössere Nutzlasten transportieren falls die zentrale Stufe allein oder auch Zentralstufe und Booster nicht gelandet werden müssen. Eine Preisangabe dafür gibt es von SpaceX allerdings nicht. Das legt nahe, daß man diesen Operationsmodus wohl nicht oder nur in Ausnahmefällen vorsieht. Schließlich plant man ja auch nur eine begrenzte Anzahl von Falcon-9-Block-5-Stufen zu produzieren, um sich danach auf die nächste große Entwicklungsarbeit für die sogenannte “Big F… Rocket” (BFR) zu konzentrieren. So würde jede im Atlantik bzw. Pazifik versenkte nicht wiederverwendbare Falcon-9-Block-5-Stufe einen recht starken Verlust für SpaceX bedeuten. Daher denke ich, daß die Falcon Heavy nur sehr begrenzt zum Einsatz kommen wird, und zwar dann, wenn eine einfache Falcon 9 Block 5 im Wiederverwendungsmodus nicht ausreichend zum Start einer Nutzlast ist. Dies würde bedeuten, daß üblicherweise GTO-Nutzlasten mit einem Gewicht von bis zu 5.5 Tonnen mit einer Falcon 9 gestarten werden, und Nutzlasten darüber hinaus mit bis zu 8.0 Tonnen mit der Falcon Heavy. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel – wie man so schön sagt. 😉

Ein weiteres Indiz für diese Strategie ist auch, daß SpaceX die ursprünglich geplante Crossfeedtechnologie für die Falcon Heavy nun doch nicht realisieren möchte. Dabei hätte man während des Starts Treibstoff von den Boostern in die zentrale Stufe gepumpt. Dies hätte massive Steigerungen der Nutzlast ermöglicht, gerade auch für Starts in den kommerziell häufig genutzten  GTO-Orbit.  Dann hätte man aber auch ein Doppelstartsystem wie SYLDA benötigt um die volle Nutzlastkapazität der Falcon Heavy ausnutzen zu können. Aber auch so ein Doppelstartsystem scheint nicht von SpaceX entwickelt zu werden.

Die Ariane 5 scheint also für die nächsten Jahre durchaus konkurrenzfähig mit der Falcon 9 zu sein, auch wenn dies in der öffentlichen Wahrnehmung oft anders dargestellt wird.  Warum entwickelt man dann also eigentlich eine Ariane 6?

Die Herausforderung besteht hauptsächlich nicht nur durch die Kapazitäten der Falcon 9, sondern durch die Systeme der nachfolgenden Generation wie die New-Glenn-Trägerrakete von Blue Origin, die Vulcan von United Launch Alliance, die H-3-Rakete aus Japan, diverse geplante russische, chinesische und auch indische Launcher, und natürlich auch durch die BFR von SpaceX.  Startpreise werden also weiter sinken. Und Europa muss auf diese Herausforderung vorbereitet sein.

Man könnte jetzt einfach denken, daß man in Europa ein ähnliches System wie die Falcon 9 bauen sollte, vielleicht etwas größer, aber auf jeden Fall teilweise wiederverwendbar.  Die erste Stufe sollte wieder landen können. Leider sind die dafür notwendigen Technologien in Europa aber nicht vorhanden. Zum einen fehlt ein wiederstartbares Flüssigkeitstriebwerk in der richtigen Größe, bei dem man den Schub so weit herunterregeln kann, daß Landungen der Erststufe möglich sind.  Das gegenwärtige Vulcain-Triebwerk von Ariane 5 und in der Zukunft Ariane 6 ist dafür zu groß und zu teuer. Außerdem kann man den Schub bei einem Flüssigwasserstoff/-sauerstoff verbrennenden Triebwerk wie Vulcain nicht im ausreichenden Maße herunterregulieren ohne daß der Verbrennungsprozess instabil wird. Ein Vulcain-Triebwerk ist für eine landbare Erststufe also nicht geeignet. Erschwerend für eine Landung der Raketenstufe ist auch die niedrige Treibstoffdichte von Flüssigwasserstoff und dem resultierenden großen Treibstofftank sowie die komplizierte Handhabung diese kryogenen Treibstoffes.

Zusammengefasst gesagt: man würde also ein neues Triebwerk mit einem anderen Treibstoff als Flüssigwasserstoff für eine wiederverwendbare Erststufe einer europäischen Trägerrakete entwickeln müssen. Dies dauert diverse Jahre und ist für eine schnelle Antwort auf den sich verändernden Launchermarkt daher keine Option. Dazu aber später mehr.

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Erste Testeinheit des P120C-Feststoffmotors für Ariane 6/Vega-C auf dem CSG-Gelände bei Kourou, Französisch-Guayana.

Für eine zügige Antwort auf die sich ändernde Lage auf dem Launchermarkt hat man dann geschaut welche Technologien denn eigentlich in Europa zur Verfügung stehen. Praktisch gesehen sind so die Technologien verwendet bei Ariane 5 und Vega verfügbar. Die Vega-Rakete ist eine relativ neue moderne Entwicklungsform der Feststoffraketentechnologie. Kohlefaserverbundwerkstoffe werden genutzt um die Boosterhüllen relativ kostengünstig in einem Stück (a.k.a. monolithisch) herzustellen. Darum gingen erste Überlegungen für den Ariane-5-Nachfolger Ariane 6 in die Richtung, für die Erst- und Zweitstufe diese Feststoffmotoren zu verwenden. Diese sogenannte PPH-Version der Ariane 6 sollte drei Feststoffmotoren in der Erststufe haben und einen weiteren derartigen Feststoffmotor als Zweitstufe. Die Oberstufe sollte das sich schon in der Entwicklung befindende wiederzündbare Vinci-Triebwerk verwenden, welches wiederum Flüssigwasserstoff mit Flüssigsauerstoff verbrennen sollte.  Die Entwicklung der PPH-Version der Ariane-6 wurde aber nach einiger Zeit gestoppt, da es ein recht unflexibles System geworden wäre und auch einige potentielle kommerzielle Kunden ihre Unzufriedenheit mit dem System ausgedrückt hatten.

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Ariane 6 und Vega C. Beide Launcher benutzen den P120C-Feststoffmotor. Für die Ariane 6 ist es ein Booster, für Vega-C die erste Stufe. Durch diese Synergie werden natürlich Kosten gespart.

Daher entschied man sich letztendlich für ein flexibleres, aber komplizierteres Trägersystem in Gestalt der heutigen Ariane 6 (natürlich mit einigen Iterationen bei einigen Parametern). Feststoffbooster hauptsächlich aus Kohlefaserverbundwerkstoffen und eine mit dem Vinci-Triebwerk ausgestattete Oberstufe wurden um eine Zentralstufe mit einem Vulcain-Triebwerk ergänzt.  Es floss ein, daß die monolithischen Feststoffbooster nur in einer begrenzten Größe gebaut werden können. Praktisch wurde dafür die Erststufe der Vega-Rakete etwas verlängert und auch der Durchmesser bis auf 3,40 Meter vergrössert. Günstigerweise kann man diese Booster dann auch als Erststufe für die neue Vega-C-Trägerrakete verwenden.

Um weitere Kosten bei der Produktion der Ariane 6 im Gegensatz zur Ariane 5 zu sparen wurde diverse Vereinfachungen eingeführt. Alle 8 Tankdome (4 der Zentralstufe und 4 in der Oberstufe) haben jetzt den gleichen Durchmesser von 8,4 Metern und können so mit den gleichen Maschinen bei MT Aerospace in Augsburg hergestellt werden. Bei bis zu 11 pro Jahr geplanten Starts könnte so ein Bedarf von 88 Tankdomen bestehen – eine Produktion in Serie ist möglich. Dies gilt auch für viele andere Komponenten der Ariane 6. Wichtig ist daher natürlich, daß man jetzt auch wirklich 11 Starts pro Jahr vermarkten kann. Da kommt es dann zu Gute, daß die kleine 62-Version der Ariane 6 mit 2 Feststoffboostern praktisch Starts von Soyuz-Raketen aus Kourou ersetzen kann. Diverse Wissenschaftsmissionen der ESA (z.B. PLATO) sowie Nutzlasten anderer europäischer Institutionen können damit gestartet werden, wie z.B. Galileo-Satelliten und Satelliten von EUMETSAT, dem europäischen Satellitenwetterdienst. Einige grössere Wissenschaftsmissionen der ESA werden auch die größere 64-Version der Ariane 6 zum Start benötigen, wie z.B. die JUICE-Jupitermission oder auch das Röntgenobservatorium der nächsten Generation genannt ATHENA. Insgesamt erhofft man sich so, daß 5 Ariane-6-Starts pro Jahr durch europäische Institutionen gebucht werden. Es würden dann also 6 Starts pro Jahr für kommerzielle Kunden zu Verfügung stehen, ähnlich viele wie heutzutage für die Ariane 5.

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Nutzlasten vorgesehen für den Start mit der Ariane 6 und diverse mögliche Orbits. Das Bild stammt vom “Ariane Day” der ArianeGroup am 21. November 2017 in Les Mureaux.

Dieses Ziel von 6 kommerziellen Ariane-6-Starts pro Jahr scheint nicht unrealistisch zu sein, bietet doch die Ariane 6 diverse Vorteile gegenüber der Ariane 5. So soll der Preis für einen Start der Ariane 64 40 Prozent günstiger sein als für eine Ariane 5, könnte also ja nach Mission zwischen 90 und 120 Millionen US-Dollar liegen. Die Nutzlastkapazität der Ariane 64 wird mit 12 Tonnen in den GTO-Orbit auch grösser sein als für die gegenwärtige Ariane 5. Eine längere Nutzlastverkleidung und eine grössere SYLDA-Doppelstartstruktur werden es ermöglichen zwei Satelliten in der Größenklassen von 5-6 Tonnen gleichzeitig zu starten.

Die Wiederzündbarkeit der Vinci-Oberstufe (3-5 mal) wird es ermöglichen Satelliten bei einem Start in verschiedenen Orbits abzusetzen. Das ist z.B. wichtig um eine größere Anzahl von kleineren Satelliten von diversen geplanten Megakonstellationen (hauptsächlich für Highspeed-Internetverbindungen) selbst in verschiedenen Bahnebenen absetzen zu können. Die Ariane 6 wäre für diese Art von Missionen geradezu prädestiniert.

Außerdem plant ArianeGroup/Arianespace flexiblere Buchungsmöglichkeiten für Starts anzubieten. Muss man gegenwärtig rund 2 Jahre vor dem geplanten Start buchen, sollen es zukünftig nur noch 1 Jahr sein. Außerdem denkt man auch daran, eine Buchung nur 3 Monate vor dem geplanten Starttermin zu ermöglichen. Dies wäre unter anderem dadurch möglich, daß eine Ariane 6 in nur 9 Tagen auf dem Europäischen Weltraumbahnhof in Kourou zum Start vorbereitet werden kann. Für die Startvorbereitungen für die Ariane 5 benötigt man vergleichsweise noch 50 Tage. Das zeigt, daß die Ariane 6 nicht nur produktionstechnisch optimiert wurde (Serienproduktion, horizontales Prozessieren, innovative Fertigungstechniken, …), sondern auch in Bezug für zügige Startvorbereitungen.

ArianeGroup/Arianespace zeigt sich für den Übergang von Ariane 5 zur Ariane 6 auch sehr optimistisch, wurden doch vor kurzem mehr Ariane-6-Launcher geordert als ursprünglich vorgesehen.  So sind nach dem Erststart der Ariane 62 im Juli 2020 (mit noch unbestimmter Nutzlast aber diversen Interessenten) dann schon 5 Starts für 2021 vorgesehen (u.a. 2 Starts mit Galileo-Satelliten), 8 Starts für 2022, und 2023 dann schon die maximale Anzahl von 11 Starts pro Jahr.

Könnten denn eigentlich mehr als 11 Ariane-6-Starts pro Jahr stattfinden? Alternativ habe ich bisher nur die Zahl 12 gehört.  Basierend auf den angegebenen 9 Tagen für die Startvorbereitungen in Kourou könnten durchaus mehr Starts erfolgen. Allerdings wird es wohl Engpässe bei der Produktion oder auch beim Transport von Hardware von Europa nach Kourou geben. Möglich wären auch Engpässe bei den Vorbereitungen der Satelliten in Kourou. Genaues kann ich dazu bisher also nicht sagen. Die Anzahl von maximal möglichen Starts pro Jahr wäre aber durchaus wichtig unter dem Aspekt, daß man nach der Ariane 6 ein teilweise wiederverwendbares Startsystem einführen möchte. Studien von ArianeGroup haben gezeigt, daß man dafür aber rund 30 Starts oder mehr pro Jahr benötigen würden, damit dies ökonomisch sinnvoll wäre. Nicht rein zufällig ist es daher wohl, daß SpaceX für dieses Jahr 30-Falcon-Starts anpeilt.

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Künstlerische Darstellung des Prometheus-Treibwerkes.

Vorbereitungen bei ESA und ArianeGroup sind im Gange um dann in den 20er Jahren ein teilweise wiederverwendbares System entwickeln zu können. Da wäre zuerst einmal die Entwicklung des Prometheus-Flüssigkeittriebwerkes zu nennen. Dies ist ein low-cost-optimiertes Triebwerk, welches mit Flüssigmethan und Flüssigsauerstoff arbeiten soll. Extreme Kühlung des Methan wie bei Flüssigwasserstoff ist hier nicht notwendig. Dies würde den Umgang und das Betanken mit diesem Treibstoff deutlich vereinfachen. Außerdem hat das Flüssigmethan auch eine höhere Dichte als Flüssigwasserstoff, was für eine möglichen Landeprozedur der Erststufe natürlich ein weiterer Vorteil ist. Da ist es natürlich kein Zufall, daß auch SpaceX mit dem Raptor-Triebwerk ein ähnliches Triebwerk für die BFR entwickelt und Blue Origin das BE-4-Triebwerk für den “New Glenn”-Träger und höchstwahrscheinlich auch für die ULA-Vulcan-Trägerrakete.

Gegenwärtig denkt man daran mit Hilfe des Prometheus-Triebwerkes Landetechniken zu entwickeln (Stichwort Callisto-Testlander). Und es gibt Studien für Ariane 7 (oder auch Ariane NEXT/AriaNEXT genannt), bei der die Erststufe des Trägersystems mit 7-9 Prometheus-Triebwerken ausgerüstet wäre, mit Wiederverwendung der Erststufe oder auch ohne.

Insgesamt kann man also sagen, daß Europa (ESA, ArianeGroup, …) doch recht gut für den Konkurrenzkampf auf dem Launchermarkt in den nächsten Jahren gerüstet ist. Ich blicke bei dieser Thematik jedenfalls optimistisch in die Zukunft.

 

Euer Dr. Rocket (a.k.a. SpaceHolgar)

Link to extended English version

Vielleicht auch von Interesse: Mein Besuch auf dem Europäischen Weltraumbahnhof Kourou Teil 1 und Teil 2

P.S.: Und jetzt können die SpaceX-Jünger bitte virtuell Steine auf mich werfen. Danke. Aber bitte keine Tesla Roadster! Da gibt es glaube ich bessere Verwendungen als diese wegzuwerfen. 😀

P.S.#2: Gestern gab es eine Pressekonferenz mit Elon Musk zum heutigen Erststart der Falcon Heavy. Drei dort präsentierte Fakten untermauern meine Ansichten wie SpaceX in den nächsten Jahren agieren wird:

  1. Die Mondumrundung von zwei kommerziellen Raumfahrern in einer Dragonkapsel gestartet von einer Falcon Heavy wurde abgesagt.
  2. Es wurde bestätigt, dass die zentrale Stufe der Falcon 9 eine recht spezielle, extra verstärkte Version der Falcon 9 ist.
  3. Man wird bei dem Testflug eine 6-stündige Coastphase für die Oberstufe demonstrieren. Dies ist wichtig für Missionen bei welchen Satelliten direkt im geostationären Orbit abgesetzt werden. Das ist Praxis bei einigen Satelliten vom US-Militär und dem NRO.

Daraus schlussfolgere ich folgendes: Man wird zum grössten Teil nur Missionen mit der Falcon Heavy fliegen, bei den denen man die beiden Boosterstufen als auch die recht spezielle Zentralstufe wiederverwenden kann.  Jeder Verlust einer Zentralstufe wäre ein recht kostspielige Angelegenheit da nur eine begrenzte Anzahl dieser Stufen hergestellt werden wird. Und diese möchte man immer wiederverwenden. Bei der bemannten Mondmission hätte man zumindest die Zentralstufe nicht bergen können. Daher ist die einzig wirklich relevante Zahl für die Nutzlast der Falcon Heavy 8 Tonnen für den GTO-Orbit, noch weniger für den GEO-Orbit (abgeschätzt Faktor 2) und für Missionen mit Fluchtgeschwindigkeit. Und diese Missionen kosten 90 Millionen Dollar. Und diesen Preis kann man mit der Ariane 6 wohl unterbieten.

Man muss verstehen, daß ArianeGroup und ESA eine andere Strategie verfolgen als SpaceX, auch durch die gegebenen Umstände im technologischen und auch politischen Umfeld in Europa. Mit der Ariane 6 – im gewissen Sinne einer Art kostenoptimierten Ariane 5 – hat man einen gehbaren Weg eingeschlagen. Man verliert zwar die Marktführerposition, geht aber trotzdem einen guten Weg. Wenn die Technologie für landbare Raketenstufen (Prometheus und Callisto) einsatzbereit ist muss langfristif gesehen dann der nächste Schritt gemacht werden – ein größtenteils wiederverwendbares Startsystem.

Und noch eine Anmerkung: Insgesamt sollte man meine Ausführungen nicht als negativ gegen SpaceX ausgerichtet verstehen. Ich habe tiefsten Respekt für die Errungenschaften von SpaceX und verfolge auch jeden der Starts (und Erststufenlandungen). Man ist dabei den Launchermarkt zu revolutionieren und durch niedrige Startkosten neue Geschäftsmodelle für Anwendungen im Weltraum zu schaffen. Und darüber hinaus wird noch eine Vision von der Eroberung des Mars verfolgt. Das ist großartig! So werde ich mir heute sehr gespannt auch den Start der Falcon Heavy anschauen, und feste die Daumen drücken. Danke.

P.S.#3: Zum Thema “Ariane 6” gibt es auch einen tollen Blogbeitrag hier:

https://leavingorbit.wordpress.com/2018/02/02/ariane-6-europas-neue-traegerrakete/

 

18 thoughts on “Ariane 6 – die europäische Antwort auf die Falcon 9 von SpaceX?

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  1. Was ich noch nicht so ganz verstehe und was diese Woche auch mit einem anderen Space-Enthusiasten zur Sprache kam: Warum genau hat man die A64 wieder für Doppelstarts ausgelegt, die man doch eigentlich vermeiden wollte? Oder ist das nur eine Option, aber nicht zwingend erforderlich, und ich habe das falsch verstanden?

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    1. Doppelstarts haben Vorteile und Nachteile, wie so viele Dinge. Problematisch war bei der Ariane 5, daß man für einen Doppelstart zwei passende Satelliten finden musste: einen kleineren, der in die SYLDA-Doppelstartstruktur passt (3-4 Tonnen) – und einen größeren (5-6 Tonnen). Diese Situation versucht man jetzt für die Ariane 64 zu vermeiden. Erstmal wird es eine längere Nutzlastverkleidung geben, und es wird eine längere SYLDA-Struktur zur Auswahl stehen. Dazu kommt, daß die Ariane 64 mit bis zu 12 Tonnen GTO-Nutzlast etwas mehr als die Ariane 5 transportieren kann. So hofft man zwei Satelliten der 5-6 Tonnenklasse auf einmal transportieren zu können. Insgesamt ist die Aufteilbarkeit der Startkosten zwischen 2 Kunden doch eine gute Sache.
      Bei der ersten PPH-Version der Ariane 6 waren Doppelstarts nicht vorgesehen, da die Nutzlastmasse einfach zu gering war. Das war einer der Gründe, warum viele potentielle Kunden das PPH-Konzept abgelehnt haben. Und so ist dann wieder mit dem jetzigen Konzept ein Träger der Ariane-5-Klasse entstanden, der mit der fortschreitenden Entwicklung sogar etwas leistungsstärker als die Ariane 5 ist. Doppelstarts bleiben angesagt! 😉

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    1. Dankeschön. Welche Schlussfolgerung finden Sie denn diskutabel? Ich lasse mich gerne überzeugen dass ich mit einigen Dingen nicht richtig liege. Danke.

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  2. So weit ich das siehe sind die oben geschilderten Pläne in richtung Ariane Next schon überholt:

    https://www.futura-sciences.com/sciences/actualites/acces-espace-callisto-demonstrateur-lanceur-reutilisable-horizon-2020-69898/#xtor=RSS-8

    Erste Testträger ist Callisto
    13 m Höhe
    1,1 m Durchmesser
    Startgewicht: 3,6 Tonnen
    Starke zusammenarbeit mit Japan

    Erst der Zweite wird Themis heißen:

    Geplant 2025
    10-fache Masse von Callisto
    10-fache Dimensonen
    1 bis 3 Prometheus Triebwerke

    Ariane Next ist dann für 2030 geplant. .. WENN sie sich denn nicht verschiebt.
    Und wird noch mal milliarden in der Entwicklung kosten.

    Das ist auch so ein Punkt der etwas bei dir hinten runter fiel: Die Starts der Ariane sind nur deswegen halbwegs konkurenzfähig weil sie subventioniert werden – pro Start UND über die Übernahme von Entwicklungskosten+Kosten des Startplatzes.
    Aber andere Staatliche Akteure sind da auch nicht so viel besser.

    An sonsten ein recht schöner Artikel. Danke dafür 🙂

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    1. Danke für den Link. Das ein weiterer Zwischenschritt von Callisto zur ArianeNEXT geplant ist war mir schon bekannt. Dass das Projekt mit Themis auch schon einen Namen hat war mir neu. Danke.
      Subventionen gibt es überall bei der Entwicklung und zugehöriger Infrastruktur, auch bei SpaceX- direkt oder indirekt. Der COTS-Auftrag von der NASA hat SpaceX finanziell gerettet, NASA und DoD zahlen deutlich höhere Preise für Startaufträge als kommerzielle Kunden und Launchpadinfrastruktur wurde zu sicherlich nicht allzu hohen Preisen von NASA oder DoD/Air Force geleast. Und in Texas beim Bau der neuen Startanlage gibt es auch Subventionen. Und über Subventionen in Russland, China, Indien und Japan brauchen wir sicherlich nicht zu diskutieren.
      Und jetzt ist es langsam Zeit für die Falcon Heavy Show. Ich bin gespannt und drücke die Daumen!

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  3. Mich würde mal interessieren, warum in Deinem -sehr informativen- und auch anderen raumfahrtbezogenen Artikeln stets von “europäischer” Raumfahrt die Rede ist, wo doch die Raketen- und sonstige Raumfahrttechnologie im Kern eine rein französische Angelegenheit ist. Die Triebwerke und Steuerungen etc. liefern französische oder französisch-dominierte Firmen wie Safran, Thales, Airbus, deutsche Firmen liefern ein paar weniger anspruchsvolle Komponenten wie Booster etc. Es müsste also m.E. immer französische Raumfahrt heissen, sinnigerweise befindet sich ja auch der Sitz der ESA in Paris und nicht in Berlin oder Rom.

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    1. Im Bereich der Trägerraketen mag der Eindruck entstehen, dass Frankreich die führende Nation bei den Ariane-Raketen ist mit rund 50 Prozent Anteil, gefolgt von Deutschland mit über 20 Prozent (Oberstufe und diverse Strukturelemente für Hauptstufe und Booster, …). Schaut man dann auf die kleinere Vega-Rakete sieht man dass dort z.B. Italien federführend ist. Und bei den Navigations- und Erdbeobachtungssatelliten und auch bei der Beteiligung an der ISS ist Deutschland der grösste Unterstützer von Seiten der ESA. Die ESA ist so organisiert, dass die jeweiligen Länder einen Pflichtbeitrag leisten und dann spezielle Beiträge für von ihnen ausgewählte Projekte. Und da hat jedes Land seine Spezialgebiete, und dies ändert sich auch mit der Zeit. Deutschland ist so zur Zeit der grösste Beitragszahler. Und ja, das ESA HQ ist in Frankreich wie auch das Startgelände in Kourou/Französisch-Guayana, Mission Control ESOC in Darmstadt in Deutschland, das Technik-Zentrum ESTEC in den Niederlanden, das Zentrum für Erdbeobachtung ESRIN in Italien, das Zentrum für Astronomie-Missionen ESAC in Spanien, das Astronautenzentrum EAC in Deutschland, usw. Die ESA ist wirklich eine breitaufgestellte europäische Organisation.

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  4. Vielen Dank für Deine prompte und ausführliche Rückantwort !
    Mich würde in diesem Zusammenhang mal interessieren, welche konkrete “Technikkompetenz” Deutschland in die ESA einbringt. Wenn ich Dich richtig verstanden habe, liegt selbige eher im Satellitenbereich, hier fällt mir die Firma OHB ein. Allerdings haben auch die Franzosen mit Thales/Alenia eine mindestens ebenbürtige Firma zu bieten. Ich habe so den Eindruck, dass die wesentlichen Technikkompetenzen in der Raum- aber auch Luftfahrt in Frankreich angesiedelt sind, wo die Triebwerke (Vulcain/Safran) und Flugsteuerungen (Thales) etc. entwickelt und hauptsächlich produziert werden, während hier in DE übertrieben formuliert, lediglich die Toiletten eingebaut werden.
    Oder anders ausgedrückt, unser Nachbarland jenseits des Rheins ist jederzeit in der Lage, ein Flugzeug oder eine Rakete vollständig alleine zu entwickeln und zu bauen, während hier in diesem unseren Lande niemals ein Flugobjekt grösser als eine Silvesterrakete abheben würde. Folgerichtig wird Airbus und sicherlich auch die europäische Raumfahrt in Frankreich als ein französisches Untenehmen bzw. Unterfangen betrachtet. Eigentlich ziemlich traurig das Ganze, für dieses Land ! Gruß T.

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    1. Gerngeschehen! Ja, es ist auch für Frankreich inzwischen alleine schwierig inzwischen eine grosse Trägerrakete zu bauen. Erstmal schon wegen der benutzten Feststoffbooster, welche eher einen italienisch-deutschen Ursprung haben. So fertig MT Aerospace (gehörte mal zu MAN, heute zu OGB) in Augsburg die Boosterhüllen der Ariane 5 Booster (Einblicke u.a. hier: https://mausonaut.wordpress.com/2017/07/05/ein-blick-hinter-die-kulissen-von-mt-aerospace-in-augsburg-teil-1/), welche dann in Italian ausgerüstet werden und in Kourou von Italienern mit dem festen Treibstoff befüllt werden. Tanks der Ariane-5-Oberstufe und strukturelle Teile werden da auch hergestellt (Teil II des obigen Reports). Wichtige Teile vom Vulcain-Triebwerk werden von ArianeGroup (früher zu Airbus DS gehörend) werden in Ottobrunn gefertigt. ArianeGroup in Bremen baut die Ariane-5-Oberstufe zusammen. Bei der Ariane 6 wird es noch ein wenig anders sein. OHB baut hauptsächlich Satelliten, der grosse Player ist aber noch Airbus DS Deutschland mit verschiedenen Standorten: Bremen, Ottobrunn, Friedrichshafen. Und für die bemannte Raumfahrt ist Airbus DS Bremen der Big-Player. Hier wurden z.B. die Spacelabs für den Shuttle gebaut, das Columbus-Modul für die ISS, die ATV-Transportschiffe zur ISS und jetzt das Europäische Servicemodul ESM für das Orion-Raumschiff der NASA für Flüge in den Mondorbit. Das ist so vom Wert her 1/3 des Raumschiffes samt Triebwerken, Treibstofftanks, Gastanks, Solarzellen und die Steuerelektronik. Es wird eine Menge in Deutschland hergestellt, es wird nur nicht wirklich gut in der Öffentlichkeit gezeigt. Wenn man sich nicht selbst dazu nachforscht geht das schnell an einem vorbei. Es ist also besser als es scheint.

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  5. Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast, meine Frage so ausführlich zu beantworten ! Das war wirklich sehr erhellend, vieles von dem, was Du geschrieben hast, war mir nicht bekannt, ich habe einiges dazu gelernt ! Gruß T.

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